Nordzypern erwacht aus dem Dornröschenschlaf 


Mit Hingabe rollen Fatti und Sadiye den Teig auf dem dunklen Holztisch in dünne Streifen aus und formen daraus kleine Schleifen. In Gülays Küche helfen sie, das Abendessen vorzubereiten – zypriotische Hausmannkost mit Bioprodukten aus dem eigenen Garten. Mit ihrem kleinen Gästehaus Ay Phodios am Ortsrand von Büyükkonuk hat sich die 41-Jährige Gülay einen Traum verwirklicht. 


VON BÄRBEL SCHWERTFEGER 
Famagusta.In den letzen Jahren hat sich der kleine Ort am Beginn der Karpaz-Halbinsel zu einem Ökodorf mit kleinen Gästehäusern und einem sonntäglichen Bauernmarkt gemausert. Im Volkskunsthaus kann man traditionelle Schnitzereien und Korbflechtarbeiten sowie eine alte Ölmühle bewundern. Das ganze Jahr über gibt es Feste, um die Besucher mit den alten Traditionen bekannt zu machen. Wer Glück hat, der kann den Frauen auch dabei zuschauen, wie sie Hellim herstellen, jenen blassgel! ben, gummiartigen Käse, der bei keiner nordzyprischen Mahlzeit fehlen darf. Schon beim Frühstück gibt es ihn knusprig braun gebraten und auch bei den traditionellen Meze, den kleinen Appetithäppchen, gehört er stets dazu. 


Unzählige archäologische Schätze
Nordzypern ist noch immer ein Reiseziel für Entdecker. Grund dafür ist die festgefahrene politische Situation. Seit 1974 ist die Insel Zypern in zwei Hälften getrennt. Nur die griechische Republik Zypern ist international anerkannt, die „Türkische Republik Nordzypern“ ist politisch isoliert. Die große Hoffnung auf eine Lösung des Konflikts wurde im April 2004 begraben. Damals stimmten die Nordzyprer für die Wiedervereinigung, aber die Zyperngriechen dagegen und wurden dafür mit dem EU-Beitritt der Insel und der Einführung des Euro belohnt. Seitdem sind die Verhandlungen zwischen den Insel-Hälften festgefahren. Die Insel gehört zur EU, aber die EU-Gesetze gelten! nicht i m Nordteil. Zwar kann man als EU-Bürger an sieben Grenzübergängen problemlos in den griechischen Süden wechseln, doch Direktflüge aus Deutschland sind noch immer nicht möglich. Dabei galten die Nordzyprer lange als die armen Nachbarn des reichen Südens. Nun hat sich das Blatt gewendet. Während der Süden der Insel nur dank EU-Hilfsgelder am Staatsbankrott vorbeigeschrammt ist und nun düsteren Zeiten entgegensieht, haben türkische Investoren das Potenzial Nordzyperns entdeckt. Vor allem rund um Girne entstanden zahlreiche neue Hotels, viele davon mit einem – gerne von griechischen Zyprioten besuchten – Kasino. Dennoch hat sich das Städtchen bis heute seinen Charme erhalten und gehört zweifellos zu den schönsten Hafenstädten am Mittelmeer. Um das hufeisenförmige Hafenbecken reihen sich Cafés und Restaurants, geschützt von einer geschlossenen Häuserfront. Im Wasser tummpeln Fischerboote, Ausflugsschiffe und Jachten, überragt von den Mauern der trutzigen Burg am Ende der Bucht. Hinter dem mittelalterlichen Ensemble erhebt sich das zackige Besparmak-Gebirge und auf einer der Felsspitzen kann man die Reste der St. Hilarion Burg erkennen. An historischen Stätten mangelt es in Nordzypern nicht. Perser, Griechen, Römer, Byzantiner, Venezianer und Osmanen hinterließen ihre Spuren. Den aus Aquitanien stammenden Lusignans verdankt die Inselhälfte ihre drei wildromantischen Kreuzritterburgen Hilarion, Buffaventa und Kantara. 


Noch immer schlummern in Nordzypern unzählige archäologische Schätze unentdeckt unter der Erde, weil das Geld fehlt und ausländische Archäologen aufgrund der politischen Isolation Nordzyperns keine Finanzierung für Ausgrabungen bekommen. Auch ein Spaziergang durch die Altstadt von Famagusta gleicht einem Streifzug durch die Geschichte der Insel. Die Stadt, die heu! te Magusa heißt, war einst die reichste Stadt der Levante, Handelsplatz für Waren aus Orient und Okzident. Heute zeugen nur noch die wuchtigen venezianischen Festungsmauern mit dem Othello-Turm vom einstigen Glanz. Die gotische Kathedrale aus dem 13. Jahrhundert dient als Moschee, der Kirchturm als Minarett. In der geteilten Hauptstadt Lefkosa – wie der türkische Teil von Nikosia heißt – kann man noch heute Mauer-Feeling erleben, denn so manche Gasse endet an einer Mauer. EU-Bürger können jedoch problemlos an einem der drei Grenzübergänge über die grüne Linie zu einer Einkaufstour in den Süden wechseln. 
Auch wenn heute überall neue Anlagen von Ferienhäusern entstehen, der fast 40-jährige touristische Dornröschenschlaf hat dafür gesorgt, dass es in Nordzypern noch immer unberührte Landschaften mit unverbauten Küsten gibt. Das gilt vor allem für die Karpaz-Halbinsel, die wie ein Stachel rund 80 Kilometer nach Osten ragt. Seit 1984 ! ist das 150 Quadratkilometer große Gebiet Nationalpark. Der Sandstrand mit seiner grandiosen Dünenlandschaft ist ein beliebter Nistplatz für die vom Aussterben bedrohten Schildkröten Caretta Caretta.


Jedes Jahr markiert Hassan ihre Nester, und wenn die winzigen Schildkröten schlüpfen, wacht er mit seinen Helfern darüber, dass sie das Meer unversehrt erreichen. Seit 15 Jahren vermietet er einfache Holzhütten am unberührten Strand. Wie viele Nordzyprer ist auch Hassan frustriert vom politischen Stillstand. „Ich kümmere mich nur noch um die Schildkröten“, erklärt er. Doch auch die sind Leidtragende der festgefahrenen Situation. So wollte ihn Greenpeace in Italien bei seiner Arbeit unterstützen, doch auch die Naturschützer scheiterten beim Geldtransfer nach Nordzypern. 
Anreise: Direktflüge nach Nordzypern gibt es nicht. Alle Flüge gehen über die Türkei. Am güns! tigsten fliegt man mit dem türkischen Billigflieger Pegas! us ü ;ber Istanbul. Man kann auch über den griechischen Teil einreisen. Die Grenze ist für EU-Bürger in beiden Richtungen offen. 


Mietwagen: Alle Orte in Nordzypern lassen sich von Girne an einem Tag erreichen. Wer mit dem Mietwagen in den Südteil fahren möchte, der braucht eine Extra-Versicherung. Besser ist es, das Fahrzeug an der Grenze zu wechseln.